Ich habe in vielen Jahren, insbesondere den letzten Lebensjahren von Herbert große Ungerechtigkeit erfahren und erleiden müssen. Auf mir wurde ausgetragen, was jene, die es taten, nicht als ihre eigenen Leichen im Keller zu entlarven bereit waren, um sich ihnen eigenverantwortlich und konsequent zu widmen, d. h. aufzuräumen und klären.

An dieser Stelle veröffentliche zwei (von nahezu unzähligen) E-Mails von mir an Herbert. Auch und gerade solche Klärungsarbeit gehört zur Pflicht von allen, die sich dem Nachlass von Herbert zugeneigt fühlen.

Jutta Riedel-Henck, 30. Juni 2025

 

Betreff: Verzeihung
Datum: 8. Januar 2015

http://www.herbert-henck.de/Autobiographische_Texte/Sinsheim_Elsenz_II/sinsheim_elsenz_ii.html#K8
»Das schlimmste Übel der hier erfahrenen Pädagogik war freilich noch etwas anderes. Denn, ohne es zu merken, verinnerlichte ich das in der Schule so handgreiflich und in gemilderter, zivilisierterer Form auch in der eigenen Familie erlebte Machtgefüge und -gefälle und begann nun selbst, gegenüber schwächeren Mitschülern unerbittlich, hart und gehässig zu werden, sie zu demütigen oder auch körperlich zu drangsalieren, den Besserwisser und Häuptling zu spielen und auf meine Weise, mit meinen Mitteln Untergebene um mich zu scharen. Je nach den Umständen ging ich hierbei eigenständig vor, verbündete mich aber auch mit Gleichgesinnten, die gleich mir einmal den starken Mann hervorkehren wollten. Diesem Verhalten wurde weder von Seiten meiner Lehrer noch der meiner Eltern Aufmerksamkeit geschenkt und gegengesteuert, so dass sich in jenem Augenblick, da ich mir dieser meiner Grobheit und Grausamkeit bewusst wurde, eine Schuld angesammelt hatte, mit der ich nun gleichermaßen allein dastand, die ich nicht ungeschehen machen konnte, deren Ursachen ich nicht kannte und deren Folgen ich nicht wiedergutzumachen vermochte, selbst wenn ich häufig genug ein ähnlich aggressives Verhalten durch Mitschüler hatte erdulden müssen. Dabei konnte ich mir nicht einreden, hier habe es sich nur um jene gelegentlich ausartenden Spiele gehandelt, mit denen die stets zum Vergleich neigenden Kinder und Jugendlichen ihre Kräfte messen und wetteifern, um herauszufinden, wer unter ihnen der Stärkste, Mutigste, Schnellste, Beste oder Größte ist. Es fehlte offensichtlich an jemandem, der erzieherische Begabung, Hellsicht und vor allem anderen das Herz besaß, meine Fantasie ohne Überheblichkeit anzuregen und mir mein Verhalten und die nicht schwer verständlichen Zusammenhänge mit einfachen und ehrlichen Worten klar zu machen.«

 

Dieser Absatz stieß mir einmal ins Auge, ohne dass ich den gesamten Text gelesen habe, als ich schaute, was du auf deiner Website veröffentlicht hast.

Ich glaube, du weißt nicht, dass Jana lange Zeit einen Klassenlehrer hatte, der dir sehr ähnlich war. Er unterrichtete Latein und Geschichte. Und er brach im Unterricht unvorhersehbar aus sich heraus und machte einzelne Schüler, aber ebenso Schülerinnen nieder, mit Spott und hämischen Bemerkungen. Da ich stets mit meinen Sinnen bei Jana war wie auch ihrer Umgebung, zudem Elternsprecherin ihrer Klasse, habe ich mich, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, angemeldet, um den Unterricht dieses Lehrers zu besuchen. Ebenso hatte ich die Klasse zusammengerufen, um mit ihr zu sprechen.

Dies nur als Information am Rande.

Nun, du schreibst von einer Person, die fehlte, welche die "erzieherische Begabung, Hellsicht und vor allem anderen das Herz besaß", deine "Fantasie ohne Überheblichkeit anzuregen und" dir dein "Verhalten und die nicht schwer verständlichen Zusammenhänge mit einfachen und ehrlichen Worten klar zu machen."

Meine Erfahrung in dieser Hinsicht mit solchen und ähnlichen Situationen ist jene, dass ich noch so aufrichtig, ehrlich, unaufdringlich, fantasievoll und menschlich von Angesicht zu Angesicht wirken konnte: Wer sich selbst erniedrigt fühlt, wird in allem, was dem entgegenkommt, Überheblichkeit sehen, denn es ist ja nun einmal so, dass dann jemand kommt und dir etwas sagt, was dir in diesem Moment nicht bewusst ist, sonst hättest du dich ja nicht so verhalten. Wer sich selbst erniedrigt fühlt und dies durch Stolz zu kompensieren versucht, der auf der Vorstellung beruht, nun andere erniedrigen zu müssen, um sich selbst besser, stärker zu fühlen, der wird sich von niemand da reinreden lassen, und wer auch immer es wie auch immer tut, ist ihm Feind und wird mit der selben Überheblichkeit des "Täters" herabgewürdigt und verachtet.

Ich frage das Folgende jetzt nicht, weil ich von dir die Antwort möchte, sondern, weil ich denke, dass es für dich sinnvoll sein könnte, dir selbst diese Frage zu beantworten: Wie hätte sich denn deiner Ansicht, deinem Wunsch nach diese erziehende Person verhalten sollen dir gegenüber? Was hätte sie dir sagen sollen? Hätte sie dir etwas sagen sollen? Oder besser schweigen? Oder abwarten auf einen Moment, um etwas mit einem Gleichnis zu beschreiben, so dass du dein Gesicht hättest wahren können? Mir selbst fehlt es hier nicht an Fantasie.

Heute höre ich dich nach wie vor Türen knallen. Ich kann das nur deuten als dein eigenes Gefühl, dir selbst nicht zu verzeihen, dass du dich selbst anklagst -- zugleich aber auch stets deine Nächsten mit einbeziehst, denn dieses enorme Knallen der Türen ist nicht zu überhören, ich schrecke jedes Mal auf und habe lange daran zu arbeiten, meine Schockgefühle zu lösen und nach positiven, hoffnungsvollen Gedanken zu suchen.

Und noch einmal zu deiner Bemerkung, die mir vorwarf, ich würde nur Worte verfassen, ohne etwas zu tun, so, als würde ich nur reden, aber nicht dazu stehen, d. h. als würde ich lügen. Ich habe so viel getan, ohne darüber zu reden, ohne darüber zu schreiben, so vieles, das du offenbar gar nicht mitbekommen hast.

Deine Ausbrüche allerdings, diese zu ignorieren, ist mir absolut unmöglich. Auch das ist ein Tun. Ist das auch eines, das du in Worte fasst gegenüber anderen? Erzählst du anderen auch davon und widmest ihnen dann diese Erzählungen? Oder bleibt all das mir hier vorbehalten, darunter zu leiden, im Verborgenen?

Was ist daran so anders als das, was du wiederum über andere schreibst? Und wenn es dir passiert, Täter zu sein -- wäre es dann nicht auch möglich, all den anderen Tätern, die dir was auch immer taten, zu verzeihen? Es ihnen nachzusehen, indem du erkennst, wie du selbst in diese Rolle geraten bist und wie schwer es für dich ist, einen Weg zu finden, dich von ihr zu lösen?

Es gibt nur einen Weg, und das ist: Verzeihung.

Ich verzeihe dir alles, Herbert. Aber es genügt nicht, wenn ich es tue. Du musst dir schon selbst verzeihen -- und damit eben auch all jenen, die dir in dieser Hinsicht gleich taten.

Zum Türenknallen: Wenn du Dampf ablassen willst, tu dies doch ganz bewusst. Sage: Jetzt lasse ich Dampf ab und mache dies oder jenes. Vorher sag ich eben Bescheid: Achtung, gleich wirds mal laut!

Ich tue das sogar, wenn ich die Kaffeemühle einschalte und sich jemand in der Küche befindet, um ihn bzw. sie nicht zu erschrecken. Diese Rücksichtnahme wünsche ich mir auch von dir.

Danke!

Jutta

 

 

Betreff: Erzählungen
Datum: 9. Januar 2015

http://www.herbert-henck.de/Autobiographische_Texte/Esel__Mantel____/esel__mantel____.html#Hund

Auch hier frage ich mich, ob du die Geschichte einmal weitererzählen und ergänzen wirst. Um den Hund, der Cappuccino genannt wird, ein Name, welcher der Mutter der Tochter einfiel, die mit ihrer Tochter gemeinsam den Hund in Bremen abholte, zumal die Tochter damals noch keinen Führerschein besaß – und all das andere, was die Tochter ohne ihre Mutter hätte nicht tun können – z. B. den Hut kaufen. Dass die Tochter sich immer weniger um den Hund kümmerte, weil sie zu ihrem Freund floh, die Wutausbrüche ihres Vaters und seine unbedachten Bemerkungen nicht mehr aushaltend. Auch hier übernahm die Mutter die Verantwortung – in diesem Falle für den Hund. Und niemand hatte sie gefragt, ob sie das wünschte. Es wurde eben gebrüllt, es wurde geflohen – und das offene Herz der Mutter, der Frau, nahm sich selbstverständlich des Hundes an! Was hätte sie auch sonst tun sollen. Ebenfalls fliehen?

Nun, sicher, es handelt sich um eine Erzählung. Wie alles, was Menschen schreiben, ist es ihre Sicht, ihre Fantasie, ihre Geschichte. Da möchte ich mich meinerseits nicht einmischen. Die Gelegenheit hätte ich gehabt, als Karin mich ihrerseits anschrieb und offenbar sehr daran interessiert war, mehr zu erfahren über dich. Ich finde allerdings, dass dies nicht meine Aufgabe ist. Jeder soll das von sich, über sich erzählen, was er möchte, das ist in Ordnung. Für ihn.

Für mich als Leserin muss es nicht in Ordnung sein, denn der Autor schreibt ja nicht für mich, sondern für sich selbst. Auch das ist in Ordnung. Und es ist für mich absolut in Ordnung, wenn ich in diesen Erzählungen nicht die "Rolle" zugeschrieben bekomme, die ich aus meiner Sicht und aus meinem Erleben, meinem Wissen einnahm. Ich habe es gelebt, da bedarf es keiner Erwähnungen gegenüber anderen. Ich weiß ja um mich und um mein Leben. Und ich denke, alle Menschen, die mit mir dort und anderswo irgendwie in Verbindung standen, werden dies ihrerseits auch nicht vergessen in ihrem Innersten. Alles Wahre bleibt ewig bestehen. Auch das, was nicht benannt wurde. Ja, vielleicht sogar das umso mehr, da ihm die Freiheit gelassen wird, unbefleckt zu bleiben von all den Interpretationen, Projektionen, die Worte nun einmal be-dingen, vermitteln und dann auch "tragen", aushalten müssen.

Es ist in Ordnung, wenn man den anderen, der großen und kleinen Öffentlichkeit (das ist bereits ein Mensch, der eine E-Mail zu lesen bekommt) nur das schreibt, was man von sich zeigen möchte. Was ich aber problematisch finde: Wenn dies dann die einzige Wahrheit bleibt, die Geltung findet, wenn diese Geltung dann noch Bestätigung erfährt durch die Leser – und der Autor bei alledem vergisst, die noch lebenden Menschen in seiner Nähe so zu behandeln wie es dem Bild entspricht, das er von sich zeichnet anderen gegenüber. Das empfinde ich als zer-rissen und gespalten und aus meiner persönlichen Sicht als ungerecht. Und in diesem Falle möchte ich zumindest dem Autor gegenüber diese Ungerechtigkeit benannt haben.

Danke fürs Lesen!

Jutta